wanted_verkleinert.jpg

 

 

 

 

 

SAXOFON-ALLERSEELEN


Der goldene Herbst hat sich verabschiedet, pünktlich zum nasskalten unwirtlichen November beginnt das Jazzfest Berlin. Wir fahren aus dem Nordwesten Richtung Osten, in unserem Jazzvehikel hören wir bereits vergnüglich die Musik von Archie Shepp und Wayne Shorter zur Einstimmung. Und wir benötigen nur 3 Stunden, das ist einsamer Rekord auf der Strecke von Bremen - schon befinden wir uns vor den Toren Berlins. Dann plötzlich landen wir bei Dreilinden in einen Stau, der uns sage und schreibe 2,5 Stunden festhält. So schaffen wir es nicht rechtzeitig zur Eröffnung des Festivals im Haus der Berliner Festspiele einzutreffen. Das Gebäude ist hell erleuchtet, strahlt regelrecht in der Dunkelheit, welche die Stadt voll und ganz erfasst hat und wirkt dadurch unwirklich wie ein fremdes Flugobjekt, das eben auf der Erde gelandet ist. Die Jazzfans und Medienleute begrüßen sich im Entree des Hauses mit großen Hallo, haben sich doch viele von ihnen ein Jahr nicht mehr gesehen.

Wir nehmen schnell noch einen Drink, schon befinden wir uns im für die Journalisten vorgesehenen Bereich des Konzertsaals und hören entspannte Grooves des Musikers Joe Lovano, einem stilistischen Meister auf dem Tenorsaxofon (aktuelles Album: „Bird Songs“ Blue Note Records 2011). Am darauffolgenden Freitagabend sind wir an gleicher Stelle und nehmen teil an dem Auftritt der Manu Katché Group. Diese Formation des französischen Schlagzeugers wird frenetisch vom Publikum bejubelt, zu recht: Selten sieht man eine Band großer Individualisten, die sich ganz dem kollektiven Sound verschrieben hat. So klingt es, als würde nur ein Musiker gleichzeitig alle Instrumente spielen, dabei sind es vier Künstler, die sich blind verstehen. Jedes einzelne Solo der Protagonisten folgt diesem Credo. Alles wird außerdem mit eleganter Coolness und in höchster Präzision vorgetragen. Der italienische Trompeter Luca Aquino war uns zuvor nicht bekannt. Seine Soli ließ die Zuhörer verzückt und atemlos zurück – einfach nur wunderschön, gleichzeitig kraftvoll und wenn erforderlich, fast lautlos, kreierte dieser Musiker feinste Linien mit einem unglaublichen tonalen Anspruch und sicheren Gespür für die Komposition an sich. Das Konzert war beendet, dachten einige und verließen schon den Saal, dann erschien die Band erneut auf der Bühne, ein paar Weitsichtige kehrten schnell zurück, denn nun spielten die vier Herren ein neues Konzert, anders kann man das wohl nicht nennen: es waren noch 5 Zugaben, bevor die Musiker sich endgültig verabschiedeten. Manu Katché lobte das Publikum ausdrücklich und betonte die seltene Konzentration und Freude an der Musik, die sich direkt von den Zuhörern auf die Musiker übertragen hätte. Sie erlebten auch schon Abende, da das Publikum in den vorderen Reihen schlief, was der Motivation zu spielen nicht förderlich sei. Je intensiver der Energieaustausch zwischen den Zuhörern und ihnen, den Musikern verliefe, desto besser würden sie spielen. Tosender Applaus! Wie schon erwähnt gefiel uns besonders der Trompeter Luca Aquino. Diesen Namen sollte man sich merken, Webreferenz: www.lucaaquino.com


Am Samstag fiel unser Augenmerk ganz auf die Konzerte des deutschen Posaunisten Nils Wogram, der beim diesjährigen Jazzfest gleich 4 seiner Bandprojekte vorstellen durfte. Zwei davon brachte der 40-jährige, aber viel jünger wirkende Musiker an diesem Abend auf die Bühne des Quasimodo Clubs. Seine Formation „Root 70“ brachte es dabei auf den Punkt. Hier agiert der aus Neuseeland stammende Musiker Hayden Chisholm, dessen Beiträge auf dem Altsaxofon noch weiter in unseren Ohren nachklingen, da wir längst wieder aus Berlin abgereist sind. Bereits bei der Bremer Jazzpreisverleihung Ende September diesen Jahres fiel uns dieser Künstler auf. Im Duo mit der albanischen Sängerin Eda Zari zog er uns da schon in seinen Bann, in Berlin nachts im Jazzkeller nun vollends, was war das für ein feines Konzert! Hayden's „wohltemperierte“ Klangfarben pflanzten sich nachdrücklich und direkt ins Herz der begeisterten Jazzfans. Infos zu diesem Künstler unter: www.haydenchisholm.net


Das diesjährige Berliner Jazzfest rollte den roten Teppich des Jazz unserer Zeit aus und beendete symbolisch dieses Musikjahr 2012. Nun ziehen wir uns alle erst einmal zurück mit der Musik unserer Neuentdeckungen und lassen den Winter an uns vorüberziehen. 2013 freuen wir uns auch auf eine Neuausgabe des Berliner Jazzfestes, das wieder Anfang November die Liebhaber der Improvisierten Musikkultur scharenweise in die Stadt an der Spree ziehen wird.



Videos zu den im Artikel erwähnten Künstlern bei YouTube:

 

 


Live at the Tabarka International Jazz Festival in Tunisia, 2004.

Live in Lugano 1995

Live sessions in the KPLU Performance Studio

At ECM Recording Studio

Live in "Palais idéal" di Ferdinand Cheval, Hauterives, France (2012)

Live at KV Maerz Linz 2010